📖 Kapitel 8 – Ein Haus aus Glas und Schatten

Die Einladung
„Ich glaube, es ist Zeit, dass du auch meine Eltern kennenlernst“, sagte Kael, fast beiläufig.
Aber Lyra hörte das leichte Zittern in seiner Stimme.

Sie nickte.
„Ich bin gespannt.“

Kael lächelte.
„Das wirst du sein. Es ist… anders bei uns.“


Das Haus der Stille
Kaels Zuhause lag nur wenige Minuten vom Waldrand entfernt, aber es wirkte wie eine andere Welt.
Ein modernes, fast schon kühl wirkendes Haus aus Glas, Beton und dunklem Holz. Groß. Offen. Still.

Keine Spuren von Chaos, kein Kindheitskram.
Alles hatte seinen Platz – und war dort geblieben.

„Wow“, sagte Lyra leise, als sie eintraten.
Der Flur war hell, aber leer. Die Wände zierten keine Bilder, keine Erinnerungen.

Kael zog seine Schuhe aus. „Meine Eltern sind… zurückhaltend. Aber nicht unfreundlich.“

„Ich kann damit umgehen“, sagte sie, obwohl ihr Magen sich leicht zusammenzog.


Begegnung der Gegensätze
Seine Eltern saßen im Wohnzimmer – auf geraden, grauen Sesseln.
Die Mutter, eine elegante Frau mit strengem Dutt, legte ein Buch zur Seite.
Der Vater, ein stiller Mann mit durchdringendem Blick, stand auf und reichte Lyra höflich die Hand.

„Lyra. Willkommen.“

Es war keine Wärme in seiner Stimme, aber auch kein Eis.
Nur Neutralität – wie ein Raum, der auf jemanden wartete, ihn aber nicht drängte, zu bleiben.

Die Mutter musterte Lyra.
Nicht abwertend.
Eher… analytisch.

„Du bist also die junge Frau mit den Tierseelen.“

Lyra nickte vorsichtig.
„Ja. Ich… bin ein Puma. Und… ein Adler.“

Die Mutter blinzelte langsam.
„Faszinierend. Ein Raubtier und ein König der Lüfte.“

Der Vater nickte nur.
„Und unser Sohn – was ist er?“

Kael sah zu Lyra, dann sagte er leise:
„Ein Wolf. Und ein Falke.“

Stille.
Eine lange, dichte Stille, die sich wie Nebel zwischen ihnen senkte.

Dann sagte die Mutter:
„Das erklärt einiges.“


Ein seltsames Gespräch
Das Gespräch verlief merkwürdig sachlich.
Kaels Eltern stellten Fragen – viele davon über Fähigkeiten, Ausdauer, Sinne.
Es war, als würden sie ein Forschungsprojekt auswerten.

Lyra antwortete höflich, aber innerlich fühlte sie sich… beobachtet.

Nur einmal spürte sie so etwas wie Nähe.
Als Kaels Vater sagte:
„Ich selbst war nie einer von euch. Aber meine Schwester – sie war ein Bussard. Stark.
Sie konnte stundenlang fliegen.
Aber sie verließ uns, als sie sich entschied, nicht mehr Mensch zu sein.“

Lyra sah ihn an.
„Hat sie das bereut?“

Ein kurzes Zucken in seinen Augen.
„Wir werden es nie erfahren.“


Ein leiser Abschied
Als sie gingen, begleitete Kaels Mutter sie bis zur Tür.

„Sie haben eine starke Verbindung“, sagte sie ruhig, zu Lyra gewandt.
„Passen Sie gut auf meinen Sohn auf. Er wird es nicht zugeben, aber…
er vertraut Ihnen mehr, als er je jemandem vertraut hat.“

Lyra schluckte.
„Ich werde.“

Ein stilles Nicken.

Dann schloss sich die Tür lautlos.


Zurück im Wald
„Ich hab dich gewarnt“, sagte Kael später mit einem schwachen Lächeln.

„Deine Eltern sind… wie eine glatte Oberfläche.
Man sieht sich selbst darin – aber man weiß nicht, was darunter ist.“

Kael nickte.
„Sie waren nie gegen mich.
Aber sie haben mich nie gedrängt, mehr zu sein. Nur… anders.“

Lyra berührte seine Hand.
„Vielleicht brauchen wir beides. Deine Klarheit. Meine Wildheit.“

Er lächelte.
„Und unsere Flügel.“


Ende Kapitel 8

🌙 Zwei Zuhause. Zwei Welten. Und dazwischen Lyra und Kael – wie zwei Hälften eines Puzzles, das sich langsam zusammensetzt. Noch bevor sie nach neuen Tierseelen suchen, lernen sie, wie viel sie selbst noch zu entdecken haben – aneinander.

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