📖 Kapitel 4 – Freiheit im Wald
Ein Versprechen
Am nächsten Tag trafen sich Lyra und Kael wieder – diesmal nicht zufällig, sondern mit Absicht.
„Ich hab dich beobachtet, gestern“, hatte er gesagt. „Du bist gelaufen wie der Wind.“
Lyra hatte gelächelt. Es war ungewohnt, aber schön, sich nicht erklären zu müssen.
„Ich war… ich selbst.“
Kael nickte.
„Ich will das auch. Fühlen, was du fühlst. Frei sein.“
Sein Blick war ernst. „Hilfst du mir?“
Sie zögerte nur einen Moment, dann reichte sie ihm die Hand.
„Wenn du bereit bist, loszulassen.“
Im Herzen des Waldes
Der Wald lag wie ein geheimes Versprechen vor ihnen. Fernab der Wege, dorthin, wo kaum ein Mensch ging, fanden sie eine Lichtung – verborgen zwischen alten, knorrigen Bäumen.
„Hier kann uns niemand sehen“, sagte Lyra. Ihre Augen funkelten im Halbschatten.
Kael zog die Schuhe aus, atmete tief ein.
„Also… wie geht das?“
Lyra zuckte die Schultern.
„Ich weiß es nicht genau. Es ist, als würde mein Innerstes anklopfen. Ich höre hin… und lasse es zu.“
Er nickte, schloss die Augen.
„Warte hier“, sagte sie, trat zurück –
und ließ los.
Lyra – der Puma
Es war einfacher als zuvor.
Die Verwandlung kam wie ein alter Freund – flüssig, weich, kraftvoll.
Ihr Körper streckte sich, Knochen verschoben sich, Fell wuchs. Dann stand sie da – hochgewachsen, schlank, muskulös. Ein Schatten aus Gold und Wildheit.
Kael wich einen Schritt zurück, doch in seinen Augen war keine Angst – nur Staunen.
„Wow… du bist wunderschön.“
Der Puma neigte den Kopf leicht, fast stolz, und schnurrte tief. Dann rannte sie los – sprang, jagte, drehte Kreise um ihn. Lebensfreude in reinster Form.
„Dein Turn“, schien sie zu sagen.
Kaels Verwandlung – der Ruf des Wolfes
Kael schloss die Augen. Spürte die Erde unter seinen Füßen. Erinnerte sich an das, was in ihm lauerte – dieses Knurren im Herzen, dieses Ziehen in der Tiefe.
Sein Atem ging schneller.
Dann kam die Hitze.
Ein Riss in der Realität. Schmerz und Kraft – ein Flackern in den Nerven.
Er keuchte, fiel auf die Knie. Lyra beobachtete ihn wachsam.
Dann… war er anders.
Sein Körper wuchs, verlängerte sich. Dunkles Fell durchzog seine Haut, Ohren formten sich spitz, und seine Augen leuchteten nun im bernsteinfarbenen Schein.
Wo eben noch ein Junge stand, trat jetzt ein schlanker, kräftiger Wolf hervor – mit tiefer Brust, langen Läufen und einem Blick, der zugleich wild und ruhig war.
Lyra trat näher. Der Puma und der Wolf standen sich gegenüber – ein Moment voll Ehrfurcht und Neuanfang.
Dann stupste sie ihn spielerisch mit der Schnauze.
Und sie liefen.
Freiheit im Rudel
Sie jagten durchs Dickicht, sprangen über Baumstämme, glitten durch Farnfelder.
Puma und Wolf – keine Worte, nur Instinkt.
Kael lernte schnell. Seine Bewegungen wurden sicherer, geschmeidiger. Und Lyra… Lyra lachte innerlich. Zum ersten Mal war da jemand, der sie begleitete – der nicht nur verstand, sondern auch mitfühlte.
Sie jagten einander, rangelten spielerisch, rollten sich im Moos.
Am Ende lagen sie Seite an Seite auf der Lichtung, verwandelten sich zurück, schwer atmend, mit zerzausten Haaren – aber mit leuchtenden Augen.
„Das war…“ Kael rang nach Worten.
„Mehr als ich mir je vorstellen konnte.“
Lyra sah ihn an, nickte.
„Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt, frei zu sein.“
Ende Kapitel 4
🖊️ Zwei Tierseelen, die sich gefunden haben – in einem Wald, der nun ihr geheimer Zufluchtsort ist. Doch ihre Reise hat gerade erst begonnen…