📖 Kapitel 3 – Die erste Verwandlung

Die Stille vor dem Sturm
Die Nacht war ungewöhnlich warm. Lyra lag wach, ihr Blick wanderte zur Decke, aber ihr Körper war unruhig. Etwas in ihr vibrierte – wie ein leiser Strom, der durch jede Faser floss. Sie spürte, dass etwas bevorstand.
Nicht mehr bloß ein Traum. Etwas Reales. Greifbares.

Sie stand auf, barfuß, lautlos, und schlich sich aus dem Haus. Der Garten war in dunkles Mondlicht getaucht. Die Welt schien zu atmen, als wäre sie Teil von etwas Größerem.


Die Verwandlung
Dann geschah es.

Ein Schwindel erfasste sie. Ihr Herz raste. Ihre Haut kribbelte, als würde sie zu eng werden. Ihre Knie gaben nach, sie fiel auf alle Viere. Doch statt Schmerz war da… eine eigenartige Leichtigkeit.

Lyra keuchte – oder war es ein Knurren?

Ihre Knochen dehnten sich, Wirbel verschoben sich. Das Dröhnen in ihrem Kopf wich einem Fokus, den sie nie gekannt hatte. Ihre Sinne explodierten: jedes Geräusch, jeder Geruch war plötzlich klar, bedeutungsvoll.

Ein letztes Flackern, ein Puls durch ihre Muskeln –
dann war sie nicht mehr Mensch.
Sie war Puma. Vollständig.

Groß, geschmeidig, mächtig.
Ihr silbrig-goldenes Fell glänzte im Mondlicht. Ihre Pranken gruben sich in den feuchten Boden, ihr Körper vibrierte vor Kraft.

Und sie lief.
Schnell, lautlos, befreit. Sie war die Nacht. Der Wald nahm sie auf, als gehörte sie schon immer dazu.


Die Rückkehr – und der Schock der Mutter
Sie wusste nicht, wie lange sie gelaufen war – irgendwann hatte sie gelernt, die Kontrolle zurückzunehmen. Die Verwandlung war nicht wie ein Schalter – eher wie eine Welle, die sie reiten musste. Schließlich kam sie zurück, nackt, zerzaust, aber mit leuchtenden Augen.

Die Tür quietschte, als sie ins Haus schlich – doch im Flur stand ihre Mutter.
Ihre Augen waren weit, voller Schock und Angst.

„Lyra?!“

Lyra erstarrte.

„Du hast dich verwandelt.“ Es war kein Vorwurf – eher eine Mischung aus Entsetzen und Bedauern.

„Ja… ich… es war wunderschön.“

„Nein!“ Die Stimme ihrer Mutter bebte. „Das ist gefährlich. Du weißt nicht, was du da aufgewühlt hast. Es wird dich zerreißen, Lyra! Diese… Gabe hat unsere Familie fast zerstört.“

„Aber Papa…“

„Dein Vater glaubt, es sei eine Stärke. Ich weiß es besser. Ich war wie du.“

Lyra trat einen Schritt zurück.
„Du hast es aufgegeben.“

Die Mutter schwieg, senkte den Blick. Dann sagte sie leise:
„Ich habe es eingesperrt. Und du solltest das auch.“

Doch da trat ihr Vater hinzu. Er hatte offenbar alles gehört.
„Sie kann es nicht mehr unterdrücken, Liora. Und sie sollte es auch nicht.“

„Und wenn sie die Kontrolle verliert? Wenn es sie zerreißt wie mich damals?!“

„Dann bringen wir ihr bei, wie man sich selbst wieder zusammensetzt.“
Er sah Lyra an, seine Stimme ruhig und fest:
„Du bist stärker, als du glaubst.“


Die Begegnung mit Kael
Am nächsten Tag, noch erschöpft, ging Lyra allein zum alten Wanderpfad hinter dem Haus. Sie musste ihren Kopf freibekommen. Ihr Herz war noch voller Aufruhr.
Am Waldrand begegnete sie ihm.

Ein Junge, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Dunkles, wuscheliges Haar, ein seltsamer Glanz in den Augen – als würde er ständig etwas hören, das andere nicht bemerkten.
Er sah sie lange an, sagte dann nur:
„Du bist letzte Nacht gelaufen.“

Lyra zuckte zusammen.
„Was meinst du?“

„Du riechst nach Wald. Nach Kraft. Nach Verwandlung.“
Er trat näher, sein Blick offen und ehrlich. „Du bist wie ich.“

„Wie du…?“ fragte sie leise.

„Meine Tierseele ist ein Wolf. Ich weiß, wie es ist, wenn die Instinkte plötzlich lauter sind als die Gedanken.“
Er schwieg einen Moment. „Man spürt es – wenn man nicht mehr allein ist.“

Lyra sah ihn lange an. Etwas in ihm vibrierte vertraut. Wie ein fernes Echo von dem, was sie selbst war.
Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sie sich… verstanden.


Ende Kapitel 3
🖊️ Lyra hat den ersten Schritt gemacht – hinein in eine neue Welt. Doch mit der Freiheit kommt auch der innere Sturm. Und mit Kael beginnt ein neues Kapitel – eines, das sie beide verändern wird.

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