📖 Kapitel 28 – Namen, die noch schlafen

Es war spät, als Elin sich aus der Decke schälte. Die Glut im Kamin glomm noch, warf flackerndes Licht auf das schlummernde Zimmer.
Lyra schlief mit einem Arm unter dem Kopf, Kael lag halb in seiner Decke verheddert, und Taro… hatte sich im Schlaf leicht an den Luchs gelehnt.

Der Luchs regte sich, als Elin sich näherte, aber er blieb liegen. Seine goldenen Augen ruhten auf ihr – vorsichtig, aber nicht misstrauisch.

Elin setzte sich neben ihn, mit leisem Rascheln. Dann schwieg sie eine Weile.

„Du warst kein Tier“, flüsterte sie. „Nie wirklich. Ich weiß das.“

Der Luchs blinzelte langsam. Seine Ohren zuckten.

Sie legte eine Hand vor sich auf den Boden. Nicht berührend. Nur da.
Und dann ließ sie los – ihre Aufmerksamkeit, ihre Wahrnehmung, ihr innerstes Fühlen.

Sie spürte ihn.
Wie man Wind in den Bäumen spürt, ohne ihn zu sehen.
Wie man weiß, dass Regen naht, noch bevor die Tropfen fallen.

Und da war es.
Verloren. Eingekapselt. Eingeschlossen in einer fremden Stille:
Eine Stimme.
Ein Name.
Ein Mensch.

„Du bist… Eshan“, sagte sie leise. Der Name kam nicht aus ihrem Verstand, sondern aus der Tiefe, wo die Seele spricht.

Der Luchs erstarrte.
Sein Atem stoppte für einen Moment.

Dann… ein Winseln. Kein Tierlaut – kein Klang, den ein Raubtier macht.
Sondern ein Laut voller Schmerz.

Elin streckte nun die Hand langsam weiter aus. Berührte sein Fell.
„Du wurdest nicht vergessen. Ich spüre dich. Ich sehe dich.“

Tränen standen ihr in den Augen, obwohl sie nicht wusste, warum.
Aber vielleicht wusste sie es doch.

Denn sie spürte, dass dieser Luchs, dieser Eshan, viel verloren hatte.
Und dass er nie geglaubt hatte, je wieder erkannt zu werden.


Am Morgen würde niemand etwas sagen.
Aber sie alle würden es spüren:

Der Luchs wich Elin nicht mehr von der Seite.
Und in seinen Bewegungen war nun mehr als Wildheit –
da war eine leise Hoffnung, die zu keimen begann.


🌙
Kapitel 28 – Ende
Wer erkannt wird, beginnt zu heilen.

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