📖 Kapitel 23 – Die Narben der Jagd

Der Geruch nach Asche ließ Elin erschauern. Sie stand etwas abseits, zwischen den verkohlten Resten einer Hütte, die kaum mehr war als ein schwarzer Rahmen aus verklebtem Holz. Die Erde hier war verbrannt – nicht durch ein natürliches Feuer, sondern durch Hitze, die gewollt entfacht worden war.

„Kein normales Feuer“, murmelte sie, kniete sich hin und berührte den Boden. „Hier wollte jemand Spuren verwischen.“

Taro landete in seiner Rabenform neben ihr, sprang leichtfüßig in die Asche, sein Blick scharf. „Oder verhindern, dass jemand zurückkehrt.“

Lyra trat zu ihnen, mit zusammengekniffenen Augen. „Ich habe vier dieser Stellen gezählt. Immer in der Nähe von Käfigen oder Kettenresten. Und überall dasselbe Gefühl – als wäre dort jemand gegen seinen Willen gebunden worden.“

„Tierseelen“, sagte Kael leise. „Gefangen. Und dann… verbrannt?“

„Vielleicht nicht alle.“ Lyras Stimme war bitter. „Aber einige… ja. Ich habe keine Spuren von Rückverwandlungen gefunden. Keine Kleidung. Keine Hinweise auf menschliche Gestalt. Nur Krallenabdrücke. Tatzen. Federn.“

„Und sie sind verschwunden?“, fragte Elin.

„Oder noch schlimmer – irgendwo in dieser Form festgehalten.“

Stille. Nur das Knistern der verkohlten Erde unter ihren Füßen.

Dann sagte Taro, fast tonlos: „Was, wenn man sie daran gehindert hat, zurückzukehren? Irgendwie… ihre Verbindung zur Menschlichkeit gekappt hat?“

Kael schüttelte den Kopf, als wollte er den Gedanken vertreiben. „Das ist unmöglich. Die Verbindung ist tief. Sie ist Teil von uns.“

„Nicht, wenn man weiß, wie man sie kappt“, warf Lyra ein. „Es gibt alte Geschichten. Von Menschen, die versucht haben, die Tierseelen zu isolieren, sie zu benutzen, zu manipulieren. Ich hielt sie immer für Märchen.“

„Vielleicht sind es keine“, sagte Elin leise.

Taro blickte auf. „Vielleicht hat jemand etwas Altes wiederentdeckt.“

Kael trat einen Schritt zurück. Seine Stimme war ruhig – aber es lag Spannung in jeder Silbe. „Ich fliege voraus. Sehe nach, ob ich Spuren finde. Wenn jemand das wirklich getan hat, dann muss er einen Ort brauchen. Etwas Festes. So etwas kann man nicht in einer Hütte machen.“

Lyra nickte knapp. „Aber bleib diesmal unauffällig. In Falkenform. Keine Hybridgestalt.“

Kael lächelte schwach. „Gelernt ist gelernt.“

Und dann stieg er auf. Höher. Schneller. Sein Schatten huschte über die Ruinen, über Felder, über Bäume. Er war lautlos wie ein Gedanke – und mit scharfen Augen wie der Zorn eines Sturms.

Was er fand, war schlimmer als erwartet.

Ein altes Gutshaus, versteckt zwischen zwei Hügeln. Von außen leer, verwahrlost. Doch im Inneren: Metallplatten. Fesseln. Und in einem der Keller: ein Tier. Eingesperrt. Eine Luchsform, aber die Augen – sie waren voller Panik. Voller Mensch.

Kael landete, schüttelte die Federn ab und sah durch das Gitter.

„Du… bist noch da“, flüsterte er.

Der Luchs schnappte nach Luft. Wankte.

Dann hörte Kael etwas hinter sich.

Schritte. Leise. Geübt.

Und eine Stimme, die er kannte.

„Kael? Kael Serun?“

Er drehte sich um – und sah eine Frau mit weißem Haar und einem Bussardblick.

„Thalya?“

Doch sie schüttelte den Kopf.

„Ich bin nicht mehr nur deine Tante, Kael. Ich bin die letzte Wächterin der gebrochenen Bande.“


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Kapitel 23 – Ende
Manche Bande sollen verbinden. Andere sollen fesseln. Doch wer entscheidet, was Freiheit wirklich bedeutet?

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