📘 Kapitel 17 – Der Ruf aus den Bäumen

Die Sonne war längst hinter den Baumkronen verschwunden, und ein sanfter Dunst legte sich über die kleine Lichtung. In Elins Hütte war es still geworden. Das Feuer knisterte leise, während Lyra und Kael eng beieinandersitzen. Elin hatte sich mit einer dampfenden Tasse Kräutertee auf ihr Kissen zurückgezogen, ihre Augen geschlossen, das Gesicht von einer tiefen Ruhe umhüllt. Doch da war etwas… etwas in der Luft.

Lyra hob den Blick. „Habt ihr das gehört?“

Ein Rascheln. Ganz hoch oben, kaum hörbar. Fast wie das Flattern von Federn. Dann ein dunkler Schatten, der über das Dach der Hütte glitt. Kael war sofort auf den Beinen, trat nach draußen und sah in den Himmel.

Ein Rabe.

Nicht irgendein Vogel, sondern einer, der wirkte, als sei er schon lange unterwegs gewesen. Seine Flugbahn war kreisend, suchend. Immer wieder überflog er die Hütte, als würde er zögern. Nicht weil er Angst hatte – sondern weil er lauschte. Auf Worte. Auf Klänge. Auf das Gefühl von Heimat, das aus dieser Hütte strömte.

Drinnen öffnete Elin plötzlich die Augen. Ganz ruhig, ganz klar. Sie legte die Tasse beiseite, trat hinaus, stellte sich in das fahle Licht des Abends und hob den Blick.

„Taro“, sagte sie leise. „Du brauchst nicht länger zu suchen. Komm zu uns.“

Der Rabe stockte in der Luft. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Seine Flügel froren für einen Moment in der Bewegung ein, dann flatterten sie unkoordiniert. Er landete auf dem großen Ast der alten Buche vor der Hütte – taumelnd, erschüttert. Wie konnte sie seinen Namen kennen?

Langsam verwandelte sich der Rabe. Federn schienen sich zurückzuziehen, bis eine schlanke, junge Gestalt mit tiefen, dunklen Augen und zerzaustem Haar vor ihnen stand. Er sah Elin an – ungläubig, fast misstrauisch. Doch in ihren Augen lag nichts als Gewissheit.

„Woher…?“ begann Taro.

Elin lächelte. „Ich habe dich gespürt. Schon seit Tagen flog deine Neugier durch diesen Wald. Deine Gedanken waren laut – nicht in Worten, aber in Wahrheit. Der Wald hat dich nicht überhört. Und ich auch nicht.“

Taro senkte den Kopf, einen Moment lang überfordert. Doch dann trat Lyra vorsichtig näher, streckte die Hand aus.

„Willkommen, Taro. Wenn du willst… bist du jetzt nicht mehr allein.“

Er sah sie an, dann Kael, dann Elin. Und ohne es zu merken, entspannte sich seine Haltung. Kein Misstrauen mehr. Nur Stille. Und ein vorsichtiges Lächeln, das sich in seinen Zügen zeigte.

Die vier standen im Kreis vor der Hütte, während über ihnen die ersten Sterne aufleuchteten. Ein Rabe, eine Hirschkuh, ein Falke, ein Adler – und all ihre anderen Formen, Geschichten und Wunden. Doch in diesem Moment war da nur Verbundenheit.

🌙

Kapitel 17 – Ende

Und so war der Kreis fast vollständig – vier Seelen, verbunden durch das, was sie waren, was sie wurden, und was sie noch entdecken würden. Und über ihnen rauschte der Wald, als hätte er sie genau so gewollt.

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