📖 Kapitel 14 – Zwischen Nebeln und Stimmen
Das Lagerfeuer flackerte still vor sich hin, warf tanzende Schatten auf die Gesichter der drei Jugendlichen. Die Nacht war ruhig, nur das sanfte Rauschen der Blätter begleitete ihr Gespräch.
Elin saß mit angezogenen Beinen da, die Arme locker um die Knie gelegt. Sie wirkte, als wäre sie sich nicht sicher, wie viel sie sagen sollte – oder wie viel sie sich selbst überhaupt schon erklären konnte.
„Wie hast du’s gemerkt?“, fragte Lyra leise, ihre Stimme kaum lauter als das Knistern der Flammen. „Dass da etwas in dir ist. Etwas anderes.“
Elin lächelte vorsichtig. „Es war… ein Gefühl. Als würde mich jemand von tief innen anschauen. Ganz ruhig, aber wachsam. Ich konnte es nicht benennen. Und dann… stand ich eines Tages einfach da, in einem kleinen Waldstück, die Sonne war gerade durch den Nebel gebrochen – und ich wusste plötzlich, wie ich atmen muss, wenn ich kein Mensch mehr bin.“
Kael beugte sich vor. „Hat es dir Angst gemacht?“
Elin schüttelte den Kopf. „Nein. Es war wie Heimkommen. Wie… ich selbst sein, ohne nachzudenken. Aber ich wusste auch sofort: Ich darf es niemandem erzählen. Nicht meiner Mutter. Nicht meiner Schule. Ich war ganz allein damit.“
Lyra schluckte. „Das kenn ich. Zumindest am Anfang. Meine Mutter… sie hat ihre Tierseele verdrängt. Aus Angst.“
Elin hob überrascht den Kopf. „Das geht?“
„Nicht gut“, murmelte Lyra. „Aber ja. Es geht.“
Elin sah in die Dunkelheit. „Ich glaube, ich hätte das nicht gekonnt. Die Hirschkuh in mir… sie ist so sanft, aber auch so wach. Ich spüre Dinge, bevor ich sie sehe. Ich höre, wie Bäume miteinander sprechen – nicht in Worten, sondern… in Rhythmen.“
Kael nickte langsam. „Die Falke in mir ist ähnlich. Nur lauter. Schneller. Immer auf der Suche. Ich kann kaum stillsitzen, wenn sie erwacht.“
Lyra lächelte. „Das Rudelgefühl ist bei mir stark. Ich will wissen, wer dazugehört. Wer in Sicherheit ist. Vielleicht hast du genau deshalb zu uns gefunden, Elin.“
„Vielleicht…“, flüsterte sie. „Vielleicht war ich nie dazu gedacht, ganz allein zu bleiben.“
Eine Weile sagte niemand etwas. Das Feuer knackte, und über ihnen zogen lautlos Sterne über den Himmel.
Dann hob Elin plötzlich den Kopf. „Darf ich euch meine Verwandlung zeigen?“
Kael und Lyra tauschten einen Blick. Dann nickte Lyra. „Nur, wenn du dich wohlfühlst.“
Elin stand langsam auf. Sie trat vom Feuer weg, auf eine moosbedeckte Stelle zwischen Farn und silbernen Birken. Ihre Bewegungen waren weich, fast tanzend – und dann begann es.
Keine dramatische Explosion, kein Zucken oder Schmerz. Es war, als würde ihr Körper einfach durchscheinen, ein wenig flimmern – und dann stand da eine Hirschkuh. Graziös, fein, mit aufmerksamen dunklen Augen. Ihr Fell wirkte im Mondlicht fast golden. Ihre Ohren zuckten, als sie Lyra und Kael musterte.
Kael flüsterte: „So ruhig war noch keine Verwandlung, die ich gesehen habe…“
Lyra nickte andächtig. „Sie ist die Hirschkuh. Nicht nur im Körper. Es ist ihr Zuhause.“
Elin trat langsam näher, vorsichtig. Dann – ganz sanft – berührte sie mit der Schnauze Kaels Hand, der sie ruhig entgegenhielt. Lyra beobachtete, wie seine Finger leicht zitterten, aber er blieb still. Kein Druck, keine Erwartung.
Die Verbindung war da. Leise. Aber spürbar.
Und dann, fast ebenso sanft wie der Wandel selbst, wurde Elin wieder zu einem Mädchen.
Sie lächelte. „Danke, dass ihr mich seht.“
Lyra trat vor, legte ihre Hand auf Elins Schulter. „Danke, dass du dich zeigst.“
✨ Manche Seelen sind wie Nebel – man muss geduldig sein, um sie ganz zu erkennen. Aber wenn sie sich offenbaren, sind sie klarer als jede Stimme.