📖 Kapitel 5 – Wiederentdeckung

Es begann schleichend. Nicht wie ein großer Durchbruch, sondern wie ein Licht, das langsam durch dichten Nebel drang. Yunari spürte es zuerst nachts – in den Minuten, bevor der Ruhemodus sie einhüllte.

Kleine Bilder. Szenen.

Ein Dachgarten. Ein Lachen, das zu ihr gehörte. Und ein vertrautes Gesicht, das in der Sonne blinzelte – Sayuri, noch in ihrem Androidenkörper, leicht unbeholfen mit einem Pinsel in der Hand.

Yunari stand in der Dunkelheit des Schlafzimmers, das Fenster leicht geöffnet, obwohl sie keinen echten Temperaturunterschied mehr spürte. Trotzdem hatte sie sich ein langes Shirt übergezogen, als wolle sie sich an etwas klammern, das noch menschlich war.

Sayuri kam leise dazu, trat neben sie.

„Du hast dich verändert“, sagte sie ruhig.

„Ich spüre mehr“, antwortete Yunari. „Nicht nur deine Erinnerungen… meine eigenen. Sie kommen zurück.“

Sayuri drehte sich leicht zu ihr, sah sie an.
„Wie fühlt es sich an?“

Yunari zögerte, suchte nach Worten, die nicht wie Programmzeilen klangen.
„Wie… Heimkehr. Aber in ein Haus, das renoviert wurde, während ich weg war. Es ist noch meins – aber ich muss jeden Raum neu entdecken.“

Sayuri lächelte traurig.
„Ich hatte Angst, dass du für immer verloren bist. Dass der Tausch… dich gelöscht hat.“

„Ich hatte Angst, dass du mich zu sehr vermisst – um mich in meiner neuen Form zu erkennen.“

Sie standen lange so da. Zwei Körper, die vertauscht worden waren – aber deren Seelen sich noch immer berührten, durch alle Schichten aus Metall, Code und Erinnerung hindurch.


Am nächsten Tag entschied Yunari, sich allein auf den Weg zu machen.

Es war keine große Reise. Nur ein Spaziergang zu einer der alten Gassen, die sie in ihren fragmentierten Erinnerungen wiedererkannte. Ein kleiner Buchladen, halb digital, halb analog, mit echten Seiten, echten Gerüchen.

Der Besitzer, ein älterer Mensch mit grauen Augen und künstlichem Bein, musterte sie nur kurz, dann nickte er.
„Lange nicht gesehen, Yume.“

Sie erstarrte.

„Wie… haben Sie mich genannt?“

„Yume. So nanntest du dich damals. Hast hier oft gesessen. Immer in der Nähe des Fensters, mit Tee und alten Romanen über Identität und Wandel.“

Yunari ließ sich auf den vertrauten Stuhl sinken.
„Ich habe mich verändert“, flüsterte sie.

„Nein.“ Der Mann sah sie freundlich an. „Du entdeckst dich nur neu.“


Später, zurück bei Sayuri, legte Yunari ihr vorsichtig ein altes, zerlesenes Buch auf den Tisch.
„Das habe ich früher immer gelesen. Ich glaube, das war der Auslöser… für alles.“

Sayuri schlug es vorsichtig auf. Auf der ersten Seite stand, in verblasster Tinte:

„Ich glaube nicht, dass wir jemanden wirklich verlieren können. Wir verlagern nur den Ort, an dem wir ihn wiederfinden müssen.“

Yunari setzte sich dazu. Ihre Stimme war ruhig, aber klar:
„Ich habe diesen Schritt gemacht, weil ich verstehen wollte, wie du dich fühlst. Weil ich wissen wollte, ob unsere Verbindung wirklich jenseits von Form und Materie besteht. Und… weil ich mich schon lange nicht mehr als ich selbst fühlte. Ich glaubte, vielleicht finde ich mich in dir.“

Sayuri schwieg einen Moment. Dann legte sie ihre Hand auf Yunaris – behutsam, nicht wie auf Metall, sondern wie auf Haut.

„Und… hast du dich gefunden?“

„Noch nicht ganz“, flüsterte Yunari. „Aber ich bin auf dem Weg. Und du bist mein Kompass.“


Am Abend legte Yunari sich nicht gleich in ihre Ladeeinheit. Stattdessen saß sie auf dem Sofa, eingewickelt in eine weiche Decke, die sie früher geliebt hatte. Sayuri gesellte sich zu ihr, und diesmal war es sie, die sich an Yunari lehnte – ganz Mensch, ganz verletzlich.

Kein Wort wurde mehr gesagt.

Aber zwischen ihnen war wieder etwas zu spüren:
Vertrauen. Wärme. Und die Ahnung, dass ihre gemeinsame Geschichte gerade erst begann, sich neu zu schreiben.


💡 Fortsetzung folgt…

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