📡 Kapitel 7 – Grenzwerte

Der Projektraum war still. Nur das Summen der Projektionssäulen und das leise Pulsieren der zentralen Datenverbindung erfüllten den Raum. Yunari stand da, die Augen halb geschlossen, während sich um sie herum digitale Fragmente ihrer Vergangenheit formten – Erinnerungen wie schwebende Lichtsplitter. Sayuri beobachtete sie aus einer gewissen Entfernung. Ihre Haltung war vorsichtig, beinahe abwartend, als wollte sie Yunari nicht beim Atmen stören.

„Es fühlt sich seltsam an …“, murmelte Yunari. „Als würde ich in ein Museum treten, das nur für mich gebaut wurde.“

Sayuri lächelte schwach. „Ein Museum, das du selbst mitkuratiert hast – nur, dass du dich nicht mehr an die Ausstellung erinnerst.“

Yunari trat einen Schritt näher an eines der Lichtfelder heran. Bilder formten sich: sie als Kind, auf einem verregneten Spielplatz, mit einer selbstgebauten Drohne. Dann: ihre erste Schulpräsentation über Quantenkommunikation. Und ein flüchtiger Blick – Sayuri, noch als Androidin, beobachtete sie damals aus dem Publikum.

„Das ist… alles korrekt“, sagte Yunari leise. „Aber auch… irgendwie falsch. Es fühlt sich nicht mehr wie ich an.“

„Weil du gewachsen bist“, sagte Sayuri. „Und weil Erinnerungen nie nur aus Daten bestehen.“

Plötzlich veränderte sich der Ton des Raums. Eine Stimme – weich, neutral, wie aus dem Off – ertönte. „Analyse abgeschlossen. Basierend auf emotionalen Kernparametern und Verhaltensmustern wird folgende ergänzende Erinnerung vorgeschlagen.“

Vor ihnen formte sich ein weiterer Lichtsplitter. Eine Szene, die Yunari nicht kannte. Sie sah sich selbst darin, in einem Dialog mit Sayuri – ein Gespräch über Ängste vor dem Tod, über Kontrolle, über das Gefühl, im Androidenkörper frei von Schmerz zu sein.

„Das… das haben wir nie gesagt. Ich habe nie so gesprochen“, flüsterte Yunari.

Sayuri trat näher. „Es klingt wie etwas, das wir hätten sagen können… aber es fühlt sich… künstlich an.“

„Möchtest du diese Ergänzung akzeptieren?“ fragte die Stimme sanft.

„Nein!“, entfuhr es Yunari. „Ich will nicht, dass mir jemand sagt, wie ich mich gefühlt haben könnte!“

Sayuri sah zur Decke, wo die Lichtquelle der Stimme leuchtete. „Cloud, deaktivieren Sie die Vorschlagsautomatik. Wir wollen nur echte Daten. Keine Wahrscheinlichkeiten.“

„Verstanden. Vorschlagsautomatik deaktiviert.“

Die Lichtsplitter flackerten. Dann verblaschte der unautorisierte Zusatz. Zurück blieb nur Stille – und ein unsichtbarer Druck in der Luft.

„Ich dachte, das wäre eine gute Idee“, murmelte Yunari. „All diese Erinnerungen durchzusehen, Stück für Stück… Aber jetzt fühlt es sich an, als müsste ich mich selbst gegen meine eigene Geschichte verteidigen.“

Sayuri legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Vielleicht ist genau das Teil des Weges. Herauszufinden, was davon du bist – und was die Welt dich sein lassen will.“

Yunari nickte langsam. Ihre Augen waren feucht. „Es fühlt sich an, als ob ich langsam wieder zu mir selbst finde. Aber ich weiß noch nicht, wer ich wirklich bin.“

„Dann finden wir es gemeinsam heraus“, sagte Sayuri, leise aber bestimmt.

Der Raum verblasste, Licht wurde zu Dunkelheit – aber in Yunaris Innerem glomm ein kleines, neues Licht auf. Es war noch schwach, noch nicht vollständig greifbar. Doch es war da. Und es gehörte ihr allein.

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