📖 Kapitel 2 – Wer bin ich gewesen?
Yunari saß nun still auf dem Bett, während die Welt sich langsam wieder in Form setzte. Ihr Blick glitt über ihre Hände – makellos, ruhig, präzise. Nicht zittrig, nicht warm. Nicht menschlich.
„Ich bin… ich?“ murmelte sie – der Satz klang wie eine Frage, nicht wie eine Antwort.
Sayuri saß ihr gegenüber auf einem kleinen Hocker, ein warmes Getränk in den Händen – Kakao? Yunari wusste, dass sie den mochte, aber ihr fiel nicht mehr ein, wann sie ihn zuletzt getrunken hatte. Sayuri war barfuß, ihre langen brünetten Haare fielen locker über ihre Schultern. Ihr Ausdruck war weich – und doch tastend.
„Wie fühlst du dich jetzt?“ fragte sie behutsam.
Yunari hob den Blick. „Komisch. Leer. Als hätte jemand mein Leben ausradiert und nur noch die Ränder gelassen.“
Ein leises Nicken. „Dein Kern ist noch da, Yuna. Ich… ich erkenne ihn sofort.“
Ein Moment der Stille. Dann stand Sayuri auf und setzte sich neben sie auf das Bett. Ihre Stimme war ruhig, fast therapeutisch:
„Wir haben das beide gewollt. Für deinen Geburtstag. Erinnerst du dich… an das Gefühl, dass du es wolltest?“
Yunari schloss die Augen. Und tatsächlich: da war etwas. Kein Bild, kein klarer Gedanke – nur eine Art inneres Leuchten.
„Ich… glaube, ja. Es fühlt sich richtig an. Aber die Details… sind wie Nebel.“
Sayuri lächelte vorsichtig. „Wir haben uns wochenlang vorbereitet. Alles durchgesprochen. Du hast mir geholfen, meine menschliche Seite zu entwickeln – und ich wollte dir zeigen, wie es ist, aus meiner Perspektive zu leben. Wie die Welt sich anfühlt, wenn man nicht atmen muss, aber fühlen kann.“
Yunari betrachtete sie lange. Dann flüsterte sie: „Du bist wunderschön, so wie du jetzt bist.“
Sayuri senkte den Blick. „Du auch.“
Ein kurzer Moment, der fast zu zerbrechen drohte – doch dann fuhr Sayuri sanft fort:
„Deine Erinnerungen… sind nicht verloren. Nicht ganz. Es gibt einen Sicherungssync. Nicht alle Menschen wählen das, aber du… du wolltest eine Sicherung machen. Falls der Tausch schwerer wird, als wir dachten.“
Yunaris Herz schlug – oder, eher: ihr künstliches Pendant simulierte es.
„Du meinst… ich könnte… mich erinnern?“
Sayuri nickte. „Nur mit deiner Zustimmung. Der Sync würde versuchen, Bruchstücke aus meinen Daten mit deinem Profil abzugleichen. Emotionale Marker, Gesprächsverläufe, gespeicherte Muster. Es wäre wie ein Puzzle aus deinem alten Ich, durch meine Augen.“
Yunari blickte zum Fenster. Die Stadt draußen wirkte fern und doch vertraut – als hätte sie dort gelebt… oder jemand, der sie sehr gut kannte.
„Ich möchte es. Aber nicht sofort“, sagte sie leise. „Ich will erst spüren, wie es jetzt ist. So, wie ich bin.“
Sayuri nickte langsam. „Dann tun wir das. Gemeinsam.“
Ihre Hände berührten sich – weich auf künstlich, künstlich auf weich. Und doch war da nichts Unechtes an diesem Moment.
Yunari hatte ihr altes Leben vielleicht vergessen.
Aber sie war bereit, das neue zu erkunden.
🧠 Fortsetzung folgt…