📖 Kapitel 23: Stimmen der Tiefe

Das Wasser wurde dunkler.

Nicht bedrohlich – sondern ehrfurchtgebietend. Es war, als würde die Welt um sie herum leiser werden, je näher sie dem Ursprung dieses geheimnisvollen Rufes kamen. Und doch war da nicht nur Stille – sondern auch Raum. Raum für Gedanken. Für Worte.

Und für Gefühle.

Elin schwamm an vorderster Stelle, ihre Bewegungen fließend wie der Tanz eines Seegrasfeldes im Strom. Sie wirkte ruhig, doch als sie sich zu den anderen wandte, lag etwas Weiches in ihrem Blick.

„Ich hatte Angst“, sagte sie, ihre Stimme vibrierte sacht durch das Wasser. „Nicht vor dem Wasser. Sondern davor, mich zu verlieren. Aber je tiefer wir tauchen… desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich endlich ganz werde.“

Jennifer schwamm neben ihr, ihre Delfingestalt elegant wie ein Gedicht. Sie stupste Elin sacht an – als Antwort, als Zustimmung, als Trost. Und Elin lächelte.

Taro drehte sich seitlich, flatterte mit seinen Flügeln – oder dem, was davon geblieben war. Als Rabe hatte er sich stets an den Himmel geklammert. Und nun war er hier – in der Tiefe. Im Element, das ihm einst fremd war.

„Ich bin noch nicht sicher, ob ich hierher gehöre“, gab er zu. „Aber vielleicht muss man nicht fliegen, um Überblick zu haben. Vielleicht reicht es, wenn man lernt, anders zu sehen.“

Er blickte zu Kaela, die nun mühelos durch das Wasser glitt. „Und zu fühlen“, fügte er leise hinzu.

Eshan hielt sich zurück. Wie oft hatte er geschwiegen, wenn die Welt ihn überforderte? Doch nun, in der Dunkelheit, fand er seine Stimme.

„Ich fühle mich nicht mutig“, murmelte er. „Aber ich bin trotzdem hier. Und das allein… fühlt sich größer an, als alles, was ich vorher geschafft habe.“

Kael legte eine Hand – oder besser gesagt, seine nun sehnige, fischartige Flosse – auf Eshans Schulter. „Du bist nicht allein“, sagte er. „Keiner von uns ist es.“

Dann blickte Kael selbst auf die Tiefe. Sein Blick war fokussiert, aber nicht hart.

„Ich spüre, dass dort unten etwas auf uns wartet. Etwas Altes. Vielleicht etwas, das uns prüft. Aber ich habe keine Angst. Nicht, wenn wir zusammen sind.“

Kaela lächelte. Sie war angekommen – nicht nur in dieser Gruppe, sondern in sich selbst. Ihre neu entdeckte Gestalt fühlte sich nicht mehr fremd an. Sie war… richtig.

„Ich weiß nicht, was ich da unten finden werde“, sagte sie. „Aber ich bin bereit, es herauszufinden.“

Und dann war da Jennifer, die die Gruppe anführte, ohne es zu wollen. Die nun nicht nur in dieser Welt lebte, sondern Teil von ihr war. Sie glitt durchs Wasser, spürte jede Strömung, hörte jedes Flüstern der Tiefe.

„Ich dachte, ich würde mich verlieren, wenn ich mich ganz verwandle. Aber… ich habe mich gefunden.“

Ein Moment verging in Schweigen. Kein Druck, kein Zwang. Nur gemeinsames Schweben – und das Wissen: Sie waren bereit.

Vor ihnen öffnete sich die Welt.
Ein riesiger Torbogen aus schimmerndem Korallenstein erhob sich aus dem Sand. Runen zogen sich über die Oberfläche, uralt, von Wasser umwoben. Und aus der Dunkelheit dahinter… pulsierte ein leises Licht.

Wie ein Herzschlag.

Komm, flüsterte es wieder.
Zeigt mir, wer ihr seid.

Die Gruppe blickte einander an. Kein Zögern. Keine Furcht.

Sie schwammen los – in die Dunkelheit, die leuchtete.


Fortsetzung folgt in Kapitel 24…

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